Betroffenenseminar "Kinder aus suchtbelasteten Familien" (23.05. - 25.05.25)

Voller Vorfreude auf dieses Wochenende fuhr ich mit Katja ins Querxenland. Unterwegs berichtete sie mir von ihrer Drogenvergangenheit und passend zum Thema, wie sie den Alkoholkonsum ihrer Eltern als Kind erlebte. Es war sehr interessant, das Ganze einmal aus dieser Perspektive dargelegt zu bekommen.

26 Teilnehmer (Betroffene mit Alkoholbezug und Drogenhintergrund) trafen sich im Seminarraum. Vertreten waren Selbsthilfevereine aus Bautzen, Hoyerswerda, Kamenz, Niesky, Nossen, Plauen, Radebeul und Torgau. Nach der Begrüßung durch den Vorstand (Katja, Matthias und Ralph) wurde Fr. Mandy Forst als Dozentin vorgestellt.

Der eigentliche Beginn war von einem traurigen Anlass überschattet. Ralph rief zum Gedenken an eine junge Frau auf. Sie hatte Drogenprobleme und sich das Leben genommen. Allen wurde mit diesem Schicksal einmal mehr vor Augen geführt, welche tragischen Wendungen das Leben nehmen kann, wenn der Mensch von seinem Suchtmittel beherrscht wird.

Passend zum Thema wurde dann gefragt, wer selbst Kinder hat oder als Kind in einer suchtbelasteten Familie leben musste. Dann wurden Fragen gesammelt, welche an diesem Wochenende behandeln werden sollten. Eine, nämlich wie man die Prävention an Schulen sieht, führte gleich zum regen Austausch. Die Vorstellung von Suchtbetroffenen an Schulen ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Sie wird oft abgelehnt, weil angeblich ausreichend geschultes Lehrpersonal diese Aufgabe übernimmt. Alle waren sich einig, dass theoretisches Wissen niemals die aus eigenem Erleben erworbene Kompetenz ersetzen kann. Auch ich finde diese Herangehensweise traurig.

Am Samstag erfragte Ralph kurz unsere Fitness, bevor Fr. Forst übernahm. Sie gab uns ein paar Webseiten an die Hand (www.nacoa.de / www.dhs.de / www.w-kis.de), welche für Recherchen zum Thema dienlich sein könnten. Die eigentlichen Ausführungen begann sie mit einigen Zahlen. Demzufolge leben in Deutschland etwa 10Mio. Menschen mit riskantem und 1,7Mio. mit missbräuchlichem Konsum sowie etwa 1,7Mio. Alkoholabhängige. Rund 3Mio. Kinder haben mindestens einen alkoholabhängigen Elternteil. Jedes circa 300. Neugeborene kommt bereits durch Alkohol geschädigt zur Welt. Diese nüchternen Angaben regen ganz schön zum Nachdenken an und sollten meiner Meinung nach viel öfter von den Medien publik gemacht werden.

Schließlich tauchten wir ganz tief in die Materie ein. Da kamen so viele Aspekte zusammen, dass deren umfassende Behandlung an dieser Stelle den Umfang des Berichtes sprengen würde.

Das Thema 'Schuld' zog sich wie ein roter Faden durchs gesamte Seminar. Da war von Reuegefühl die Rede, das bis ins Erwachsenenalter der eigenen Kinder anhält. Betroffene wissen eigentlich, dass ihre Fehler im Krankheitsbild des Abhängigen begründet sind und haben meist auch schon Aufarbeitung in der Familie betrieben. Viele haben schon wieder ein fast normales Verhältnis zu den Kindern und können sich trotzdem nicht von der Schuld lossagen. Bei der Schilderung persönlicher Erlebnisse und Eindrücke sind immer wieder Tränen geflossen. Am nachdenklichsten hat mich aber der Aspekt gemacht, dass Kinder Schuldgefühle gegenüber ihren suchtkranken Eltern entwickeln können. Sie geben 'sich' die Schuld am Trinkverhalten (Drogenkonsum) der Eltern.

 

Viele stammen selbst aus suchtbelasteten Familien und konnten somit von eigenen Erfahrungen als Kind berichten. Es wurde von verschiedensten Ängsten gesprochen, aber auch von Stolz auf den 'trinkfesten' Vater. Einige haben die eigenen Familienverhältnisse als Normzustand gesehen und die anderen waren Außenseiter. Scham wurde genauso beleuchtet wie lustige Episoden mit betrunkenen Angehörigen. Viele haben ihren Eltern vergeben oder zumindest Frieden mit der Vergangenheit geschlossen. Aber auch Lehren wurden aus der verlorenen Kindheit gezogen - "…ich bin heute wahrscheinlich ein besserer Vater, als ich ohne meine Erfahrungen geworden wäre…"

Wie diese Beispiele zeigen, sind Kinder oft zwischen 'Gut und Böse', 'Hoch und Tief', 'übertriebener Fürsorglichkeit und Existenzängsten' hin- und hergerissen. Die so extrem wichtige kindliche und später pubertäre Entwicklung leidet unter dem Suchtmittelkonsum der Eltern mit all seinen Begleiterscheinungen. Dabei ist das hier Geschilderte nur ein kleiner Abriss dessen, was an diesem Wochenende angesprochen und behandelt wurde.

Weitere am Samstag behandelten Punkte waren: "Die Rollenübernahme von Kindern in suchtbelasteten Familien", "Warum bin ich trotz schlechtem Vorbild süchtig geworden?" und die Abarbeitung der Freitag gesammelten Fragen.

Nach dieser schweren Kost, hatten wir den Feierabend redlich verdient. Einigen kam der Abstand zu dem doch sehr emotionalen Thema äußerst gelegen. Die Grillmeister walteten ihres Amtes und alle ließen es sich schmecken. Den restlichen Abend gestaltete jeder nach Belieben. Einige suchten das Gespräch, andere zogen gesellige Spiele vor.

 

Sonntag hieß das erste Thema: "Was bewegt Kinder in Suchtfamilien?" Dabei waren auch wieder die Schuldgefühle sehr präsent. Doch ebenso von Angst, verlorenem Vertrauen und unfreiwilligem Rollentausch wurde gesprochen. Ein Teilnehmer berichtete, wie sein Sohn die Beschützerrolle übernahm. In der nassen Phase stellte sich dieser zwischen den Vater und die negativ reagierende Umwelt. Zu Beginn der Abstinenz hielt er dann den Alkohol so gut es ging aus der Reichweite des Vaters, bis sich endlich ausreichend Vertrauen eingestellt hat.

Beim zweiten Thema beschäftigte uns: "Welche Reaktionen zeigen Kinder in Suchtfamilien?" Da war von Sturheit, Verschlossenheit, Verschwiegenheit, Verantwortungsgefühl, Gewalt, Selbstständigkeit, Rückzug und verborgenen Gefühlen die Rede. Es wurde einmal mehr deutlich, warum Therapeuten bei der Aufarbeitung so enorm wichtig sind.

Im dritten Thema fragten wir: "Wie können wir als SHG den Kindern helfen?" Zuerst kommt da natürlich der Aufbau von Vertrauen. Eventuell müssen wir dem Kind erklären, dass es keine Schuld am Trinkverhalten der Eltern hat. Am besten hört man den Kindern zunächst sorgfältig zu und verinnerlicht sich ihre Probleme. Im Gespräch sollten wir beachten, dass Kinder anders denken und Gehörtes auch anders verarbeiten. Das bedeutet, die Unterhaltung muss altersgerecht gestaltet werden, es fiel die Umschreibung "das Erwachsenengehirn ausschalten".

Zuletzt spielte noch einmal das Schuldgefühl eine Rolle. Die emotionale Schilderung einer Teilnehmerin über ihren momentan recht aussichtslosen Kampf mit sich und der Schuld, hat alle sehr betroffen gemacht. Beim Versuch, ihr Tipps zu geben, kam die große Stunde einer ehemaligen Drogenabhängigen. Sie konnte uns die Denkweisen und das Verhalten von Drogenkonsumenten recht anschaulich nahebringen. Sie erzählte von absoluten Egoisten, die jeden (auch Familienangehörige) bis zuletzt ausnutzen, nur um ihren Lebensstil halten zu können. Sie empfahl dringend, nur noch solche Hilfen zu gewähren, die der Drogenabstinenz dienlich sind.

Nach diesen, nochmal sehr emotionalen Ausführungen, war das Seminar auch schon wieder vorbei. Wir bekamen die Gelegenheit unsere Eindrücke des Wochenendes Revue passieren zu lassen sowie Lob und Kritik anzubringen.

Vom Gruppenleiterkurs wusste ich noch, welch enormes Potential das Thema in sich birgt. Wie vermutet, reicht ein Wochenende niemals, alle damit verbundenen Problematiken anzusprechen und abzuhandeln. Daher habe ich mich entschieden auch am zweiten Seminar mit selbigem Thema teilzunehmen. Es werden andere Betroffene mit ihren Erfahrungen, Fragen und Ratschlägen dabei sein und ich denke, in diesem Fall ist es sehr sinnvoll investierte Zeit.

Zum Schluss möchte ich allen meinen Dank aussprechen. Dem Vorstand für die vorzügliche Organisation, Fr. Mandy Forst für die souveräne Art uns durch dieses bewegende Thema zu führen und vor allem danke ich den Teilnehmern, die sich so bereitwillig geöffnet haben, uns an z.T. sehr intimen Erfahrungen teilhaben ließen und somit bei vielen ein breiteres Verständnis im Umgang mit "Kindern aus suchtbelasteten Familien" vermittelt haben.

            Uwe Schütze

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